Mittwoch, 14. Juni 2006
Flagge zeigen
childerich, 02:47h
Mal angenommen, man hätte mich 1989 eingefroren und heute aufgetaut: Mich würde es frösteln.
Überall Fahnen. Zu 98 % in schwarz-rot-gold, der Rest eher italienisch-mediterran gehalten. Was mag bloß passiert sein? Denn in diesem Gedankenspiel wäre die letzte deutsche Fahne im Eingang des Café Normal als Fußabstreifer gelegen. Wohlgemerkt: ich beobachte das lediglich als virtuell Zeitreisender - ohne Wertung. Nun aber hängen aus jedem Fenster Fahnen in unterschiedlichster Ausführung. Von der billigen polyester-dunkel-rötlich-gelben Variante bis hin zum edlen 10m-Leinenbanner, wie es in Langenzenn aus dem zweiten Stock herabhing. Auf den Straßen dazu Autos von Otto Normalbürgern, die sich aus unerfindlichen Gründen im diplomatischen Dienst wähnen. Oder warum sonst kurven 200er D Mercedesse mit Doppelwimpeln durch die Gegend? Sehr seltsam, das Ganze. Irgendetwas muss sich in den vergangenen 17 Jahren (zefix, echt schon wieder so lange her?) grundlegend geändert haben.
Wahrscheinlich käme ich - das Gedankenspiel immer noch weiterspinnend - irgendwann doch darauf, dass es offenbar mit einem aus Lederflicken genähten runden Objekt und zweimal elf Männern in unbequem wirkenden Schuhen zu tun hat. Und mit einer seltsamen Mischung aus Gastfreundschaft und unbedingtem Siegeswillen. Ich vermute, so würde ich es verstehen. Ohne es wirklich zu verstehen.
Denn der Nörgler im Hinterkopf würde sich mit Sicherheit bald zu Wort melden und darauf hinweisen, dass wir im 20. Jahrhundert eigentlich immer mordsmäßig eins auf die Lapp' bekommen haben, wenn aus Privatwohnungen im Übermaß die Staatsfarben zum Lüften ausgehängt wurden. Wie gesagt: der Nörgler in mir. Ich mag ihn selbst nicht besonders. Aber wo er Recht hat, hat er Recht. Die Fußball-WM werden wir wohl verlieren.
Bitte komme mir jetzt niemand damit, dass andere Nationen das ähnlich exzessiv, aber wesentlich selbstverständlicher handhaben würden. Zugegeben, die USA sind uns einiges voraus, was das Flagge zeigen betrifft. Aber mal ehrlich: Was verstehen die schon von Fußball? Ein bisschen anders sieht es da schon bei den Schweizern aus. Auch eine Flaggennation vor dem Herrn. Nur ein wenig dezenter als in Übersee, aber doch schon ein ganz anderes Kickerkaliber.
Eigentlich kann man daraus nur einen Schluss ziehen: Brasilianische Flaggen müssen her. In Massen. Sicherheitshalber auch noch ein paar Tausend tschechische als Notfallreserve. Ich bin überzeugt: Wir hätten eine Chance.
Überall Fahnen. Zu 98 % in schwarz-rot-gold, der Rest eher italienisch-mediterran gehalten. Was mag bloß passiert sein? Denn in diesem Gedankenspiel wäre die letzte deutsche Fahne im Eingang des Café Normal als Fußabstreifer gelegen. Wohlgemerkt: ich beobachte das lediglich als virtuell Zeitreisender - ohne Wertung. Nun aber hängen aus jedem Fenster Fahnen in unterschiedlichster Ausführung. Von der billigen polyester-dunkel-rötlich-gelben Variante bis hin zum edlen 10m-Leinenbanner, wie es in Langenzenn aus dem zweiten Stock herabhing. Auf den Straßen dazu Autos von Otto Normalbürgern, die sich aus unerfindlichen Gründen im diplomatischen Dienst wähnen. Oder warum sonst kurven 200er D Mercedesse mit Doppelwimpeln durch die Gegend? Sehr seltsam, das Ganze. Irgendetwas muss sich in den vergangenen 17 Jahren (zefix, echt schon wieder so lange her?) grundlegend geändert haben.
Wahrscheinlich käme ich - das Gedankenspiel immer noch weiterspinnend - irgendwann doch darauf, dass es offenbar mit einem aus Lederflicken genähten runden Objekt und zweimal elf Männern in unbequem wirkenden Schuhen zu tun hat. Und mit einer seltsamen Mischung aus Gastfreundschaft und unbedingtem Siegeswillen. Ich vermute, so würde ich es verstehen. Ohne es wirklich zu verstehen.
Denn der Nörgler im Hinterkopf würde sich mit Sicherheit bald zu Wort melden und darauf hinweisen, dass wir im 20. Jahrhundert eigentlich immer mordsmäßig eins auf die Lapp' bekommen haben, wenn aus Privatwohnungen im Übermaß die Staatsfarben zum Lüften ausgehängt wurden. Wie gesagt: der Nörgler in mir. Ich mag ihn selbst nicht besonders. Aber wo er Recht hat, hat er Recht. Die Fußball-WM werden wir wohl verlieren.
Bitte komme mir jetzt niemand damit, dass andere Nationen das ähnlich exzessiv, aber wesentlich selbstverständlicher handhaben würden. Zugegeben, die USA sind uns einiges voraus, was das Flagge zeigen betrifft. Aber mal ehrlich: Was verstehen die schon von Fußball? Ein bisschen anders sieht es da schon bei den Schweizern aus. Auch eine Flaggennation vor dem Herrn. Nur ein wenig dezenter als in Übersee, aber doch schon ein ganz anderes Kickerkaliber.
Eigentlich kann man daraus nur einen Schluss ziehen: Brasilianische Flaggen müssen her. In Massen. Sicherheitshalber auch noch ein paar Tausend tschechische als Notfallreserve. Ich bin überzeugt: Wir hätten eine Chance.
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Freitag, 9. Juni 2006
Als der Ministerpräsident meinen Parkplatz stahl
childerich, 03:33h
Neulich hätte ich dem Stoiber eine schmieren können. Im übertragenen Sinne sowieso; diesmal aber auch ausnahmsweise ganz real. Denn der Schbrichbeidl hat mir meinen Parkplatz geklaut.
Angefangen hat alles damit, dass die kleinere der beiden Städte hier jetzt auch Universitätsstadt ist. Die echte Universitätsstadt (die dritte im Bunde der zwei) liegt angeblich noch weiter im Norden. Bestätigen kann ich das nicht, da ich mich so weit noch nicht vorgetraut habe. Gewöhnlich gut unterrichtete Quellen bestätigten aber mehrfach, dass nördlich der Pegnitz die Zivilisation nicht schlagartig ende. Allerdings scheinen die Leut dort oben platzmäßig allmählich an ihre Grenzen zu stoßen. Sie müssen daher Teile Denkfabriken nach Süden auslagern. So kam es dann, dass das Zentralinstitut für neue Materialien und Prozesse direkt am Südufer der Pegnitz angesiedelt wurde. Keine Frage: Ein wichtiges Ereignis für unsere kleine Stadt. Und wichtige Ereignisse ziehen bekanntermaßen auch Politiker magisch an.
Nachdem unser Landesvater in den letzten Monaten wiederholt durch verbalakrobatische Kapriolen vom rapiden Transrapid bis zum Problembär aufgefallen war, dachte er sich wohl, hier etwas Boden gutmachen zu können. Dagegen ist nichts einzuwenden. Eigentlich. Wenn Edmund meint, uns seine Glückwünsche überbringen zu müssen, dann ist er herzlich willkommen. Aber musste er dafür gleich meinen Parkplatz klauen? Immerhin wurden wir bereits eine Woche vorher aufgefordert, am besagten Einweihungstag den Parkplatz aus sicherheitstechnischen Gründen nicht zu benutzen. Zuerst dachte ich ja noch, man wolle uns vor der Redegewalt des Mannes schützen. Als dann aber Feuerwehr und Katastrophenschutz bereits an Vortag Stellung bezogen, kamen erste Zweifel auf. Mal ehrlich: So verheerend sind seine Reden dann auch nicht. Erst als ein Aufgebot von Bepos mit Spiegeln den Unterbodenschutz vermeintlich herrenloser Autos auf dem Parkplatz überprüften, dämmerte es mir, dass es nicht um unseren Schutz ging. Ok, schon beleidigt.
Nichtsdestotrotz parkte ich als staatstreues Individualelement am Veranstaltungstag weit abseits und machte mich zu Fuß auf zur Stätte meines Wirkens. Bereits nach wenigen Metern stieß ich auf die Ausläufer eines zunehmenden Polizeiaufgebots. Meine stählerne Thermoskanne mit Tee verbarg ich sicherheitshalber jedoch unter meiner Jacke. Kein Parkplatz ist eine Sache. Die prophylaktische Sprengung eines Liters Second Flush Darjeelings dagegen eine ganz andere. Ich ging also gebückt - und vermutlich ziemlich grimmigen Blicks - meines Weges, der mich über den gesperrten Parkplatz führte. Plötzlich stand dann - keine zehn Meter entfernt - Edmund da. Abgeschirmt von zwei Dutzend Polizisten. Und hinter ihm ein Hubschrauber. Nicht etwa auf meinem Parkplatz, sondern mitten auf der Zufahrt. Das war zuviel.
Ich opfere gerne meinen Parkplatz, wenn es dem Protokoll dient. Wenn er dann aber nicht einmal benötigt wird und der ministerpräsidiale Pilot in einer Weise parkt, für die unsereins zwanzig Knöllchen auf einmal kassieren würde, ist es mit der Staatsraison schlagartig zu Ende. Kurz und gut: Ich bekam einen ziemlichen Hals und überlegte, ob ich Edmund nicht zur Rede stellen sollte und meine in seinen Augen sicher nicht stichhaltige Argumentation durch eine ordentliche Watsch'n unterstreichen sollte. Letzten Endes war es dann die angespannte finanzielle Situation des Freistaates, die mich davon abhielt. Wer das jetzt nicht versteht, der erkundige sich bei dem Waffendealer seiner Wahl nach dem Tageskurs für 9 mm Parabellum-Geschosse. Denn von diesen hätte mein Körper im Rahmen der angedachten Diskussion dem Staatshaushalt sicher ein gutes Dutzend entzogen. Eine Option, die nicht im Interesse irgendeines Beteiligten gewesen wäre. Von der zerschossenen Thermoskanne Tee ganz zu schweigen. Ich ging also brav gebückt an der versammelten Society vorbei, grummelte in Gedanken wüste Flüche vor mich hin und ärgerte mich darüber, dass manche eben doch gleicher parken dürfen als andere.
Nennt mich ein Weichei. Nennt mich überempfindlich. Von mir aus nennt mich sogar einen deutschen Parkplatzspießer. Aber genau das sind die Sachen, die auch nach zweihundert Jahren immer noch dazu gführen, dass wir Franken nicht bereit sind, uns mit der neuen bayerischen Herrschaft abzufinden. Wenn ein demokratisch gewählter Ministerpräsident erst einen Parkplatz reserviert und dann sein Hubschrauberpilot ganz woanders landet - das ist es, was selbst aus einem schwäbischstämmigen Oberbayern im fränkischen Exil einen überzeugten Separatisten macht. Allmächd, zefix und bluadige Hennakepf!
Angefangen hat alles damit, dass die kleinere der beiden Städte hier jetzt auch Universitätsstadt ist. Die echte Universitätsstadt (die dritte im Bunde der zwei) liegt angeblich noch weiter im Norden. Bestätigen kann ich das nicht, da ich mich so weit noch nicht vorgetraut habe. Gewöhnlich gut unterrichtete Quellen bestätigten aber mehrfach, dass nördlich der Pegnitz die Zivilisation nicht schlagartig ende. Allerdings scheinen die Leut dort oben platzmäßig allmählich an ihre Grenzen zu stoßen. Sie müssen daher Teile Denkfabriken nach Süden auslagern. So kam es dann, dass das Zentralinstitut für neue Materialien und Prozesse direkt am Südufer der Pegnitz angesiedelt wurde. Keine Frage: Ein wichtiges Ereignis für unsere kleine Stadt. Und wichtige Ereignisse ziehen bekanntermaßen auch Politiker magisch an.
Nachdem unser Landesvater in den letzten Monaten wiederholt durch verbalakrobatische Kapriolen vom rapiden Transrapid bis zum Problembär aufgefallen war, dachte er sich wohl, hier etwas Boden gutmachen zu können. Dagegen ist nichts einzuwenden. Eigentlich. Wenn Edmund meint, uns seine Glückwünsche überbringen zu müssen, dann ist er herzlich willkommen. Aber musste er dafür gleich meinen Parkplatz klauen? Immerhin wurden wir bereits eine Woche vorher aufgefordert, am besagten Einweihungstag den Parkplatz aus sicherheitstechnischen Gründen nicht zu benutzen. Zuerst dachte ich ja noch, man wolle uns vor der Redegewalt des Mannes schützen. Als dann aber Feuerwehr und Katastrophenschutz bereits an Vortag Stellung bezogen, kamen erste Zweifel auf. Mal ehrlich: So verheerend sind seine Reden dann auch nicht. Erst als ein Aufgebot von Bepos mit Spiegeln den Unterbodenschutz vermeintlich herrenloser Autos auf dem Parkplatz überprüften, dämmerte es mir, dass es nicht um unseren Schutz ging. Ok, schon beleidigt.
Nichtsdestotrotz parkte ich als staatstreues Individualelement am Veranstaltungstag weit abseits und machte mich zu Fuß auf zur Stätte meines Wirkens. Bereits nach wenigen Metern stieß ich auf die Ausläufer eines zunehmenden Polizeiaufgebots. Meine stählerne Thermoskanne mit Tee verbarg ich sicherheitshalber jedoch unter meiner Jacke. Kein Parkplatz ist eine Sache. Die prophylaktische Sprengung eines Liters Second Flush Darjeelings dagegen eine ganz andere. Ich ging also gebückt - und vermutlich ziemlich grimmigen Blicks - meines Weges, der mich über den gesperrten Parkplatz führte. Plötzlich stand dann - keine zehn Meter entfernt - Edmund da. Abgeschirmt von zwei Dutzend Polizisten. Und hinter ihm ein Hubschrauber. Nicht etwa auf meinem Parkplatz, sondern mitten auf der Zufahrt. Das war zuviel.
Ich opfere gerne meinen Parkplatz, wenn es dem Protokoll dient. Wenn er dann aber nicht einmal benötigt wird und der ministerpräsidiale Pilot in einer Weise parkt, für die unsereins zwanzig Knöllchen auf einmal kassieren würde, ist es mit der Staatsraison schlagartig zu Ende. Kurz und gut: Ich bekam einen ziemlichen Hals und überlegte, ob ich Edmund nicht zur Rede stellen sollte und meine in seinen Augen sicher nicht stichhaltige Argumentation durch eine ordentliche Watsch'n unterstreichen sollte. Letzten Endes war es dann die angespannte finanzielle Situation des Freistaates, die mich davon abhielt. Wer das jetzt nicht versteht, der erkundige sich bei dem Waffendealer seiner Wahl nach dem Tageskurs für 9 mm Parabellum-Geschosse. Denn von diesen hätte mein Körper im Rahmen der angedachten Diskussion dem Staatshaushalt sicher ein gutes Dutzend entzogen. Eine Option, die nicht im Interesse irgendeines Beteiligten gewesen wäre. Von der zerschossenen Thermoskanne Tee ganz zu schweigen. Ich ging also brav gebückt an der versammelten Society vorbei, grummelte in Gedanken wüste Flüche vor mich hin und ärgerte mich darüber, dass manche eben doch gleicher parken dürfen als andere.
Nennt mich ein Weichei. Nennt mich überempfindlich. Von mir aus nennt mich sogar einen deutschen Parkplatzspießer. Aber genau das sind die Sachen, die auch nach zweihundert Jahren immer noch dazu gführen, dass wir Franken nicht bereit sind, uns mit der neuen bayerischen Herrschaft abzufinden. Wenn ein demokratisch gewählter Ministerpräsident erst einen Parkplatz reserviert und dann sein Hubschrauberpilot ganz woanders landet - das ist es, was selbst aus einem schwäbischstämmigen Oberbayern im fränkischen Exil einen überzeugten Separatisten macht. Allmächd, zefix und bluadige Hennakepf!
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Dienstag, 11. April 2006
Heimatbrief
sondor, 18:43h
Heute kam der Schnee zurück. Das und mein Besuch beim Friseur, nein im Friseursalon, lässt mich allmählich daran zweifeln, wer in welchem Exil lebt. Nicht immer liegt das Exil in der Ferne.
Angefangen hatte es ja schon, als ich letzte Woche rechtschaffend frühzeitig im Salon anrief: „Friseursalon … Werner am Apparat, was kann ich für Sie tun?“ und ich nur für das übliche Waschen, Legen, Fönen einen Termin haben wollte. Bei wem bestimmtes? Naja, sonst hat’s immer die Melanie gemacht. Die gibt’s bei uns nicht mehr. Dann ist’s egal.
Eigentlich habe ich mich schon darauf gefreut. Werner, Frisiermeister, bekommt immer einmal im Jahr eine neue Ladung Zonenfriseusenlehrlinge, die gehen billig her, die sind ordentlich dankbar und kurz vor ihrem Abschluss kann man sie wieder nach Hause schicken. So landen immer die frischesten Jaquelines, Mendys und Susens in seinem Laden, begleitet von einer, die es wirklich drauf hat und den Mädels immer zeigen kann, wo denn der Besen hängt. Ein Problem ist natürlich, dass die jungen Dinger meistens den Pulli zu kurz und den Rock zu knapp tragen, weshalb sie sich häufig verkühlen und dann schon frühzeitig noch vor der Zwischenprüfung den Westen verlassen müssen.
Trotzdem ist es immer nett, an einen neuen Busen gedrückt zu werden, kichernd gefragt zu werden, ob auch die Augenbrauen geschnitten werden sollen (nein, auch diesmal nicht) und mufflig in den Spiegel zu schauen, um ja nicht den Gedanken an ein Gespräch aufkommen zu lassen.
Mit Melanie war das anders, sie hat mich zum Reden gebracht, über das Neujahresspringen, die Kandahar und über meine Sorge, dass mein Wirbel oben nicht nur ein Wirbel oben ist, sondern Zeichen der zunehmenden Vergreisung Westeuropas (sie konnte mich beruhigen, eine Platte sieht anders aus). Melanie durfte mich nach meinen Augenbrauen fragen und auf meine Rückfrage „Ist es denn nötig“ mit „Ehrlich gesagt, ja“ antworten.
Ich dachte nicht, dass sie mir fehlen würde, bis ich heute die Tür zum Salon öffnete, und eine charmante, rothaarige Mitfünfzigerin mich empfing. Es hat sich wohl viel geändert bei Werner. Bei wem ich denn einen Termin hätte. Im Laden steht nur eine weitere, und die schneidet gerade Frau Faltengrauer. Ich sage, unbestimmt. Dann stellt sie sich vor: Sonja.
Sonja macht mich von Anfang an wahnsinnig. Ich bin eh schon spät dran und sie lässt sich mit allem Zeit. Zeit beim Waschen, das ich bei Melanie so genossen habe, Zeit beim Umhanganlegen, das ich noch nie genossen habe, Zeit beim Zettel lesen, auf dem steht, dass ich meine Haare kurz haben möchte und im Nacken hochrasiert, damit ich nicht so häufig zum Friseur muss.
Das einzig angenehme an Sonja ist, dass sie nicht redet, was sie auch nicht muss, weil Werner mittlerweile gekommen ist und einen Kunden schneidet, der gerade in Vietnam war. Ich lerne, dass Vietnamesen kreuzbrave Menschen sind, denen der Ami des Land zerhaun hat, wie er’s halt immer macht. Außerdem weiß ich jetzt, dass in dem armen Land die Leute sehr fröhlich sind, besonders wenn sie in der ehemaligen DDR studiert haben und jetzt Touristen in Limousinen herumkutschieren dürfen. Angebaut wird eigentlich alles, das Land ist ein einziger Dschungel, da haben sie sogar, also sogar, also, also Salat. Glaubt man ja nicht, aber die haben da alles, auch Salat.
Mit einer enervierenden Ruhe lichtet Sonja meinen Wildwuchs mit dieser Zipperschere, die leicht stumpf wird und dann jedes zweite Haar eher rupft als schneidet. Sonja schneidet mich so, dass ich denke, mein Gott, wie bescheuert kann man denn ausschauen, aber bloß stillhalten jetzt, sonst wird’s noch schlimmer.
Der Vietnamveteran neben mir zieht voll Freude zum Abschied noch einen Zeitungsausschnitt heraus, auf dem Melanie und eine Kollegin abgebildet sind, erzählt Werner, dass er schon weiß, dass die beiden Köpf sich selbständig gemacht haben, und dass man’s ja schon bewundern muß, wenn welche so einen Mut haben. Werner lächelt milde, sagt er weiß gar nichts davon (stimmt nicht) und wünscht den beiden und dem Herrn viel Glück.
Ich möchte Ho-Tschi-Min aufhalten, aber Sonja zeigt mir meinen Wirbel, ob’s denn gut sei. Und natürlich: 40 Jahre Erfahrung, da ist es gut. Ich muss es zugeben. Es gibt nichts auszusetzen, und ich habe sogar noch fünf Minuten Zeit.
Trotzdem werde ich Melanie suchen. Ich habe im Telefonbuch nachgesehen. Es gibt zwölf Friseure in meinem Ort. Jetzt finde ich es auch mutig, sich selbständig zu machen.
Angefangen hatte es ja schon, als ich letzte Woche rechtschaffend frühzeitig im Salon anrief: „Friseursalon … Werner am Apparat, was kann ich für Sie tun?“ und ich nur für das übliche Waschen, Legen, Fönen einen Termin haben wollte. Bei wem bestimmtes? Naja, sonst hat’s immer die Melanie gemacht. Die gibt’s bei uns nicht mehr. Dann ist’s egal.
Eigentlich habe ich mich schon darauf gefreut. Werner, Frisiermeister, bekommt immer einmal im Jahr eine neue Ladung Zonenfriseusenlehrlinge, die gehen billig her, die sind ordentlich dankbar und kurz vor ihrem Abschluss kann man sie wieder nach Hause schicken. So landen immer die frischesten Jaquelines, Mendys und Susens in seinem Laden, begleitet von einer, die es wirklich drauf hat und den Mädels immer zeigen kann, wo denn der Besen hängt. Ein Problem ist natürlich, dass die jungen Dinger meistens den Pulli zu kurz und den Rock zu knapp tragen, weshalb sie sich häufig verkühlen und dann schon frühzeitig noch vor der Zwischenprüfung den Westen verlassen müssen.
Trotzdem ist es immer nett, an einen neuen Busen gedrückt zu werden, kichernd gefragt zu werden, ob auch die Augenbrauen geschnitten werden sollen (nein, auch diesmal nicht) und mufflig in den Spiegel zu schauen, um ja nicht den Gedanken an ein Gespräch aufkommen zu lassen.
Mit Melanie war das anders, sie hat mich zum Reden gebracht, über das Neujahresspringen, die Kandahar und über meine Sorge, dass mein Wirbel oben nicht nur ein Wirbel oben ist, sondern Zeichen der zunehmenden Vergreisung Westeuropas (sie konnte mich beruhigen, eine Platte sieht anders aus). Melanie durfte mich nach meinen Augenbrauen fragen und auf meine Rückfrage „Ist es denn nötig“ mit „Ehrlich gesagt, ja“ antworten.
Ich dachte nicht, dass sie mir fehlen würde, bis ich heute die Tür zum Salon öffnete, und eine charmante, rothaarige Mitfünfzigerin mich empfing. Es hat sich wohl viel geändert bei Werner. Bei wem ich denn einen Termin hätte. Im Laden steht nur eine weitere, und die schneidet gerade Frau Faltengrauer. Ich sage, unbestimmt. Dann stellt sie sich vor: Sonja.
Sonja macht mich von Anfang an wahnsinnig. Ich bin eh schon spät dran und sie lässt sich mit allem Zeit. Zeit beim Waschen, das ich bei Melanie so genossen habe, Zeit beim Umhanganlegen, das ich noch nie genossen habe, Zeit beim Zettel lesen, auf dem steht, dass ich meine Haare kurz haben möchte und im Nacken hochrasiert, damit ich nicht so häufig zum Friseur muss.
Das einzig angenehme an Sonja ist, dass sie nicht redet, was sie auch nicht muss, weil Werner mittlerweile gekommen ist und einen Kunden schneidet, der gerade in Vietnam war. Ich lerne, dass Vietnamesen kreuzbrave Menschen sind, denen der Ami des Land zerhaun hat, wie er’s halt immer macht. Außerdem weiß ich jetzt, dass in dem armen Land die Leute sehr fröhlich sind, besonders wenn sie in der ehemaligen DDR studiert haben und jetzt Touristen in Limousinen herumkutschieren dürfen. Angebaut wird eigentlich alles, das Land ist ein einziger Dschungel, da haben sie sogar, also sogar, also, also Salat. Glaubt man ja nicht, aber die haben da alles, auch Salat.
Mit einer enervierenden Ruhe lichtet Sonja meinen Wildwuchs mit dieser Zipperschere, die leicht stumpf wird und dann jedes zweite Haar eher rupft als schneidet. Sonja schneidet mich so, dass ich denke, mein Gott, wie bescheuert kann man denn ausschauen, aber bloß stillhalten jetzt, sonst wird’s noch schlimmer.
Der Vietnamveteran neben mir zieht voll Freude zum Abschied noch einen Zeitungsausschnitt heraus, auf dem Melanie und eine Kollegin abgebildet sind, erzählt Werner, dass er schon weiß, dass die beiden Köpf sich selbständig gemacht haben, und dass man’s ja schon bewundern muß, wenn welche so einen Mut haben. Werner lächelt milde, sagt er weiß gar nichts davon (stimmt nicht) und wünscht den beiden und dem Herrn viel Glück.
Ich möchte Ho-Tschi-Min aufhalten, aber Sonja zeigt mir meinen Wirbel, ob’s denn gut sei. Und natürlich: 40 Jahre Erfahrung, da ist es gut. Ich muss es zugeben. Es gibt nichts auszusetzen, und ich habe sogar noch fünf Minuten Zeit.
Trotzdem werde ich Melanie suchen. Ich habe im Telefonbuch nachgesehen. Es gibt zwölf Friseure in meinem Ort. Jetzt finde ich es auch mutig, sich selbständig zu machen.
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