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Dienstag, 11. April 2006
Heimatbrief
sondor, 18:43h
Heute kam der Schnee zurück. Das und mein Besuch beim Friseur, nein im Friseursalon, lässt mich allmählich daran zweifeln, wer in welchem Exil lebt. Nicht immer liegt das Exil in der Ferne.
Angefangen hatte es ja schon, als ich letzte Woche rechtschaffend frühzeitig im Salon anrief: „Friseursalon … Werner am Apparat, was kann ich für Sie tun?“ und ich nur für das übliche Waschen, Legen, Fönen einen Termin haben wollte. Bei wem bestimmtes? Naja, sonst hat’s immer die Melanie gemacht. Die gibt’s bei uns nicht mehr. Dann ist’s egal.
Eigentlich habe ich mich schon darauf gefreut. Werner, Frisiermeister, bekommt immer einmal im Jahr eine neue Ladung Zonenfriseusenlehrlinge, die gehen billig her, die sind ordentlich dankbar und kurz vor ihrem Abschluss kann man sie wieder nach Hause schicken. So landen immer die frischesten Jaquelines, Mendys und Susens in seinem Laden, begleitet von einer, die es wirklich drauf hat und den Mädels immer zeigen kann, wo denn der Besen hängt. Ein Problem ist natürlich, dass die jungen Dinger meistens den Pulli zu kurz und den Rock zu knapp tragen, weshalb sie sich häufig verkühlen und dann schon frühzeitig noch vor der Zwischenprüfung den Westen verlassen müssen.
Trotzdem ist es immer nett, an einen neuen Busen gedrückt zu werden, kichernd gefragt zu werden, ob auch die Augenbrauen geschnitten werden sollen (nein, auch diesmal nicht) und mufflig in den Spiegel zu schauen, um ja nicht den Gedanken an ein Gespräch aufkommen zu lassen.
Mit Melanie war das anders, sie hat mich zum Reden gebracht, über das Neujahresspringen, die Kandahar und über meine Sorge, dass mein Wirbel oben nicht nur ein Wirbel oben ist, sondern Zeichen der zunehmenden Vergreisung Westeuropas (sie konnte mich beruhigen, eine Platte sieht anders aus). Melanie durfte mich nach meinen Augenbrauen fragen und auf meine Rückfrage „Ist es denn nötig“ mit „Ehrlich gesagt, ja“ antworten.
Ich dachte nicht, dass sie mir fehlen würde, bis ich heute die Tür zum Salon öffnete, und eine charmante, rothaarige Mitfünfzigerin mich empfing. Es hat sich wohl viel geändert bei Werner. Bei wem ich denn einen Termin hätte. Im Laden steht nur eine weitere, und die schneidet gerade Frau Faltengrauer. Ich sage, unbestimmt. Dann stellt sie sich vor: Sonja.
Sonja macht mich von Anfang an wahnsinnig. Ich bin eh schon spät dran und sie lässt sich mit allem Zeit. Zeit beim Waschen, das ich bei Melanie so genossen habe, Zeit beim Umhanganlegen, das ich noch nie genossen habe, Zeit beim Zettel lesen, auf dem steht, dass ich meine Haare kurz haben möchte und im Nacken hochrasiert, damit ich nicht so häufig zum Friseur muss.
Das einzig angenehme an Sonja ist, dass sie nicht redet, was sie auch nicht muss, weil Werner mittlerweile gekommen ist und einen Kunden schneidet, der gerade in Vietnam war. Ich lerne, dass Vietnamesen kreuzbrave Menschen sind, denen der Ami des Land zerhaun hat, wie er’s halt immer macht. Außerdem weiß ich jetzt, dass in dem armen Land die Leute sehr fröhlich sind, besonders wenn sie in der ehemaligen DDR studiert haben und jetzt Touristen in Limousinen herumkutschieren dürfen. Angebaut wird eigentlich alles, das Land ist ein einziger Dschungel, da haben sie sogar, also sogar, also, also Salat. Glaubt man ja nicht, aber die haben da alles, auch Salat.
Mit einer enervierenden Ruhe lichtet Sonja meinen Wildwuchs mit dieser Zipperschere, die leicht stumpf wird und dann jedes zweite Haar eher rupft als schneidet. Sonja schneidet mich so, dass ich denke, mein Gott, wie bescheuert kann man denn ausschauen, aber bloß stillhalten jetzt, sonst wird’s noch schlimmer.
Der Vietnamveteran neben mir zieht voll Freude zum Abschied noch einen Zeitungsausschnitt heraus, auf dem Melanie und eine Kollegin abgebildet sind, erzählt Werner, dass er schon weiß, dass die beiden Köpf sich selbständig gemacht haben, und dass man’s ja schon bewundern muß, wenn welche so einen Mut haben. Werner lächelt milde, sagt er weiß gar nichts davon (stimmt nicht) und wünscht den beiden und dem Herrn viel Glück.
Ich möchte Ho-Tschi-Min aufhalten, aber Sonja zeigt mir meinen Wirbel, ob’s denn gut sei. Und natürlich: 40 Jahre Erfahrung, da ist es gut. Ich muss es zugeben. Es gibt nichts auszusetzen, und ich habe sogar noch fünf Minuten Zeit.
Trotzdem werde ich Melanie suchen. Ich habe im Telefonbuch nachgesehen. Es gibt zwölf Friseure in meinem Ort. Jetzt finde ich es auch mutig, sich selbständig zu machen.
Angefangen hatte es ja schon, als ich letzte Woche rechtschaffend frühzeitig im Salon anrief: „Friseursalon … Werner am Apparat, was kann ich für Sie tun?“ und ich nur für das übliche Waschen, Legen, Fönen einen Termin haben wollte. Bei wem bestimmtes? Naja, sonst hat’s immer die Melanie gemacht. Die gibt’s bei uns nicht mehr. Dann ist’s egal.
Eigentlich habe ich mich schon darauf gefreut. Werner, Frisiermeister, bekommt immer einmal im Jahr eine neue Ladung Zonenfriseusenlehrlinge, die gehen billig her, die sind ordentlich dankbar und kurz vor ihrem Abschluss kann man sie wieder nach Hause schicken. So landen immer die frischesten Jaquelines, Mendys und Susens in seinem Laden, begleitet von einer, die es wirklich drauf hat und den Mädels immer zeigen kann, wo denn der Besen hängt. Ein Problem ist natürlich, dass die jungen Dinger meistens den Pulli zu kurz und den Rock zu knapp tragen, weshalb sie sich häufig verkühlen und dann schon frühzeitig noch vor der Zwischenprüfung den Westen verlassen müssen.
Trotzdem ist es immer nett, an einen neuen Busen gedrückt zu werden, kichernd gefragt zu werden, ob auch die Augenbrauen geschnitten werden sollen (nein, auch diesmal nicht) und mufflig in den Spiegel zu schauen, um ja nicht den Gedanken an ein Gespräch aufkommen zu lassen.
Mit Melanie war das anders, sie hat mich zum Reden gebracht, über das Neujahresspringen, die Kandahar und über meine Sorge, dass mein Wirbel oben nicht nur ein Wirbel oben ist, sondern Zeichen der zunehmenden Vergreisung Westeuropas (sie konnte mich beruhigen, eine Platte sieht anders aus). Melanie durfte mich nach meinen Augenbrauen fragen und auf meine Rückfrage „Ist es denn nötig“ mit „Ehrlich gesagt, ja“ antworten.
Ich dachte nicht, dass sie mir fehlen würde, bis ich heute die Tür zum Salon öffnete, und eine charmante, rothaarige Mitfünfzigerin mich empfing. Es hat sich wohl viel geändert bei Werner. Bei wem ich denn einen Termin hätte. Im Laden steht nur eine weitere, und die schneidet gerade Frau Faltengrauer. Ich sage, unbestimmt. Dann stellt sie sich vor: Sonja.
Sonja macht mich von Anfang an wahnsinnig. Ich bin eh schon spät dran und sie lässt sich mit allem Zeit. Zeit beim Waschen, das ich bei Melanie so genossen habe, Zeit beim Umhanganlegen, das ich noch nie genossen habe, Zeit beim Zettel lesen, auf dem steht, dass ich meine Haare kurz haben möchte und im Nacken hochrasiert, damit ich nicht so häufig zum Friseur muss.
Das einzig angenehme an Sonja ist, dass sie nicht redet, was sie auch nicht muss, weil Werner mittlerweile gekommen ist und einen Kunden schneidet, der gerade in Vietnam war. Ich lerne, dass Vietnamesen kreuzbrave Menschen sind, denen der Ami des Land zerhaun hat, wie er’s halt immer macht. Außerdem weiß ich jetzt, dass in dem armen Land die Leute sehr fröhlich sind, besonders wenn sie in der ehemaligen DDR studiert haben und jetzt Touristen in Limousinen herumkutschieren dürfen. Angebaut wird eigentlich alles, das Land ist ein einziger Dschungel, da haben sie sogar, also sogar, also, also Salat. Glaubt man ja nicht, aber die haben da alles, auch Salat.
Mit einer enervierenden Ruhe lichtet Sonja meinen Wildwuchs mit dieser Zipperschere, die leicht stumpf wird und dann jedes zweite Haar eher rupft als schneidet. Sonja schneidet mich so, dass ich denke, mein Gott, wie bescheuert kann man denn ausschauen, aber bloß stillhalten jetzt, sonst wird’s noch schlimmer.
Der Vietnamveteran neben mir zieht voll Freude zum Abschied noch einen Zeitungsausschnitt heraus, auf dem Melanie und eine Kollegin abgebildet sind, erzählt Werner, dass er schon weiß, dass die beiden Köpf sich selbständig gemacht haben, und dass man’s ja schon bewundern muß, wenn welche so einen Mut haben. Werner lächelt milde, sagt er weiß gar nichts davon (stimmt nicht) und wünscht den beiden und dem Herrn viel Glück.
Ich möchte Ho-Tschi-Min aufhalten, aber Sonja zeigt mir meinen Wirbel, ob’s denn gut sei. Und natürlich: 40 Jahre Erfahrung, da ist es gut. Ich muss es zugeben. Es gibt nichts auszusetzen, und ich habe sogar noch fünf Minuten Zeit.
Trotzdem werde ich Melanie suchen. Ich habe im Telefonbuch nachgesehen. Es gibt zwölf Friseure in meinem Ort. Jetzt finde ich es auch mutig, sich selbständig zu machen.
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